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Gesundheit in digitalen Zeiten

Interview mit Ben Lenk-Ostendorf, Leiter Forschung & Entwicklung bei MEDISinn und Digital Native

Ben habe ich während meiner Zeit als Hochschuldozentin in einem meiner Seminare kennen gelernt. Schon als Student ist er mir mit seinen ganz eigenen und innovativen Ideen aufgefallen. So war es mir eine Freude, ihn in seinem beruflichen Kontext bei MEDISinn*, einem Gesundheitsdienstleister mit ganzheitlichem Ansatz, wieder zu treffen und ihn als Digital Native zum Thema Gesundheit in digitalen Zeiten zu interviewen. Bens Interessen liegen vor allem in den Bereichen Psychologie und IT. Bei MEDISinn ist er Leiter Forschung & Entwicklung. Hier kümmert er sich um die technologischen Neuentwicklungen mit dem Ziel, die Gesundheit von Arbeitnehmern zu verbessern. Gleichzeitig schreibt er an seiner Doktorarbeit zum Thema Gamification und Klimawandel. Hierbei initiiert er ein Projekt namens CO2-Hero, das es ermöglichen soll, spielerisch weniger CO2 als Privatperson auszustoßen. Hier nun das Interview mit Ben:

Ben Lenk-Ostendorf, Leiter Forschung & Entwicklung bei MEDISinn

Melanie: Was ist denn deine aktuelle Rolle bei MEDISinn?

Ben: Ich bin Leiter Forschung & Entwicklung, dabei sind meine Hauptaufgabenbereiche IT-Projekte und der Human Ressource Bereich.

Melanie: Welche Intention verfolgt MEDISinn?

Ben: MEDISinn hat das große Ziel, Menschen zu befähigen, erstens ihre Gesundheit zu verstehen und zweitens ihre Gesundheit zu verbessern. Wir haben erlebt, dass Menschen, wenn Sie sich nicht so gut fühlen, oft nicht wissen, wo es herkommt. Denn Gesundheit ist für viele sehr abstrakt. Und wir versuchen eine Gegendenke zum Thema Krankheit zu fördern, das heißt, den Blick auf den Erhalt und die Prävention von Gesundheit zu lenken. Das bringen wir in Unternehmen ein, da wir dort viele Menschen erreichen können. Wir haben z.B. Partner wie Amazon und die Allianz, wo wir exemplarisch Gesundheitstage für die Mitarbeiter durchführen.

Melanie: Wie sieht die Arbeit von MEDISinn aus?

Ben: Unser Hauptprodukt ist die psychische Gefährdungsbeurteilung. Das ist ja eine gesetzliche Pflicht, Unternehmen müssen das machen. Wir gehen zu dem Thema in die Organisationen rein und schauen, was sind denn die Knackpunkte im Unternehmen. Was gibt es hier für Themen, die zu bearbeiten sind. Psychische Gefährdung und Krankheiten sind in der Regel teuer für Unternehmen. Gesundheit dagegen bringt richtig was. Wir treten an die Unternehmen heran und fragen, hättet ihr Interesse, euer Unternehmen in der Hinsicht voran zu bringen. Es gibt Firmen, die sagen, Gesundheit macht jeder für sich. Und dann gibt es andere, die sagen, Gesundheit ist uns wichtig und was uns ein Krankheitstag kostet oder wenn jemand länger ausfällt z.B. bei Depressionen oder Rückenproblemen, das sind dann die richtigen Kosten und das wollen wir nicht. Solche Unternehmen machen mit und sie haben ein echtes Interesse daran, dass es den Mitarbeitern gut geht.

Melanie: Welche Bandbreite an Kunden habt ihr? Sind das Großunternehmen oder mittelständische Unternehmen?

Ben: Wir haben auch große Unternehmen, unser Hauptfokus liegt aber auf dem Mittelstand. Der Mittelstand ist da richtig spannend. Zum Teil sind das auch junge Unternehmen, die z.B. sagen, wir wollen da etwas Digitales umsetzen.

Melanie: Was genau bietet ihr dem Kunden für Produkte, Tools und Systeme an?

Ben: Wir gehen in der Regel über einen Fragebogen zur psychischen Gesundheitsgefährdung ins Unternehmen rein. Danach geht es darum, Verbesserungen anzustoßen. Wir haben eine anonyme Hotline, die der Mitarbeiter bei Fragen anrufen kann. Wir bieten zudem Workshops und Coachings an. Dabei versteifen wir uns nicht auf ein Thema. Wir können dank unseres Netzwerks jedes Thema angehen, was uns bei der Situationsanalyse auffällt. Ein anderer Weg ist der, dass wir dem Unternehmen ein bestimmtes Kontingent anbieten und die Mitarbeiter haben dann selbst die Möglichkeit, sich daraus zu bedienen. So können wir die Mitarbeiter versorgen, wie sie es jeweils brauchen. Beispielsweise möchten manche Mitarbeiter mehr Sport machen oder andere möchten eine psychologische Onlineberatung wahrnehmen. Was es auch ist, wir haben es in unserem Portfolio und können es individuell auf die Bedürfnisse des Mitarbeiters anpassen.

Melanie: Welche Berufsgruppen sprecht ihr vor allem an?

Ben: Vor allem die öffentliche Verwaltung und alle sozialen Berufe, insbesondere Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen haben meistens einen hohen Bedarf. Gerade mit dem Präventionsgesetz im Pflegebereich ist da einiges zu tun, unterstützt vom Gesetzgeber. Ein Beispiel ist ein Projekt zusammen mit der AOK zur Frage, wie bekommen wir es hin, dass die Pflegekräfte auch Pausen in ihren Alltag einbauen. Mit meiner Doktormutter habe ich dazu eine App entwickelt. Die heißt „Mach’ mal Pause“. Das ist eine Kooperation zwischen MEDISinn und der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Das Ganze wird damit auch wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Die Ergebnisse der Forschung haben wir dann in der App verarbeitet.

Melanie: Was bedeutet denn für dich Digitalisierung?

Ben: Ich bin ja tatsächlich ein Digital Native und bin es gewohnt, immer digital Feedback zu bekommen. Das ist auch der Grund, warum ich mich in meiner Doktorarbeit mit dem Thema Gamification beschäftige. Digitalisierung heißt nicht nur, dass ich das, was ich vorher analog gemacht habe, jetzt digitalisiert mache. Digitalisierung heißt für mich das Nutzen von Interaktivität und Feedback. Darin steckt für mich die große Chance der Digitalisierung. Dass der Nutzer z.B. belohnt wird, wenn er das braucht, dass er explorieren und erkunden kann. Das heißt auch auf das Thema Gesundheit bezogen, ich fülle nicht nur einen Fragebogen aus. Wir versuchen da ein human-centered design zu entwickeln. Das ist ein Ansatz, der interaktive Systeme so entwickelt, dass auf die Bedürfnisse und Anforderungen der Anwender eingegangen wird und menschliche Perspektiven in den Problemlösungsprozess einbezogen werden. Wir leiten den Nutzer also so durch unser System, dass es im besten Fall Spaß macht und sich gut bei der Benutzung anfühlt.

Melanie: Da möchte ich auf einen Punkt kommen und zwar das Thema „Gesundheit digitalisieren“, wie kann man das machen? Wie kann man hier die Digitalisierung zum Vorteil nutzen?

Ben: Das große Problem beim Thema Gesundheit ist der große Wissensunterschied. Und dieses Wissen haben wir. Nehmen wir z.B. einen Automechaniker, der seinen Job immer sehr gut macht, aber seit geraumer Zeit geht es ihm nicht mehr gut und womöglich leidet er an einem Burn-out bzw. einer Depression. Dann weiß die Person in der Regel nicht, dass sie erstens krank sein könnte und es zweitens eine Telefon-Hotline gibt, die er anrufen kann, um einen Termin bei einem Psychotherapeuten zu bekommen. Und er weiß nicht, welche Präventionsprogramme es gibt. Und diesen Wissensunterschied können wir mit der Digitalisierung überbrücken. Vom ersten Verdachtsmoment, über Prävention, Therapievermittlung und -begleitung bis zur Nachsorge.

Melanie: Wie kann ich mir das jetzt konkret für diese Person vorstellen? Wie kommt sie an diese Informationen heran?

Ben: Unser Ablauf ist so, wir gehen mit dem Fragebogen zur psychischen Gesundheitsgefährdung rein. Die Person füllt zunächst den Fragebogen aus und dann bieten wir noch weitere Informationen zum Thema Gesundheit sowie die Möglichkeit, die eigenen Ergebnisse mit Menschen aus der gleichen Branche zu vergleichen. Dies kann er alles über eine Website auf seinem Computer oder auf seinem Handy machen. Und dann stellt eine Person mittels des Fragebogens z.B. fest, ich schlafe schon seit einer ganzen Weile nicht mehr gut, Rückenbeschwerden habe ich auch und Energie habe ich morgens auch nicht mehr so richtig. Da machen wir die Person dann aufmerksam und sagen, schau’ mal, deine Depressivitätswerte sind schon recht überdurchschnittlich. So jetzt kommt der kritische Punkt. Da wäre es fatal, wenn wir hier aufhören würden. Dann sagen wir, wir haben folgende Vorschläge für dich bzw. das Programm zeigt dies entsprechend an. Das kann beispielsweise die Empfehlung sein, suche einen Arzt auf. Und es gibt auch Verknüpfungen zu anderen Apps. Und darüber hinaus als wichtige Komponente gibt es die Möglichkeit, einen Menschen zum akuten Thema zu kontaktieren. Denn digitale Tools und Social Media sind hier kein Ersatz. Apps können z.B. darauf aufmerksam machen, wie es um die persönlichen sozialen Beziehungen steht und dass es hier vielleicht etwas zu tun gibt. Wir möchten bei dem Thema Gesundheit so früh wie möglich ansetzen.

Melanie: Jetzt gibt es ja bereits den Einsatz von Chatbots in der Therapie. Wäre das auch für euch eine Option? Erste Forschungsergebnisse zeigen, das ist gar nicht so schlecht, was dabei herauskommt.

Ben: Ja, es gibt eine große Metastudie zu computerbasierter Depressionstherapie. Eine sehr spannende Studie. Die Hauptergebnisse zeigen: ohne Unterstützung des computerbasierten Ansatzes waren die Ergebnisse so mittelmäßig, mit administrativen Support zur App waren die Ergebnisse schon besser und mit psychotherapeutischer Begleitung waren die Werte geringfügig, aber noch höher. Wenn man diesen administrativen Unterbau schaffen könnte, z.B. mit einem Chatbot und wenn es nicht weitergeht, kommt ein Mensch zum Zug, klar, das wäre schon eine ziemlich gute Sache. Aber da müssen wir noch schauen, inwieweit das wirklich bei Depressionen in der Behandlung greift. Da dies doch sehr individuell ausfallen kann. Am Ende könnten es sinnvolle Verknüpfungen von Mensch und Maschine sein.

Melanie: Was möchtest du aus deiner bisherigen Erfahrung heraus den Menschen zum Thema psychische Gesundheit gerne mitgeben?

Ben: Was ich für mich persönlich herausgefunden habe, wie ich meine Lebenszufriedenheit steigern kann, ist Dankbarkeit. Das heißt Dankbarkeit trainieren. Einmal bis zweimal pro Woche aufschreiben, wofür ich dankbar bin. Denn wenn etwas Negatives passiert, nimmt das meistens Überhand. Dann brauche ich mindestens drei positive Dinge, damit sich das wieder ausgleicht. So ist die Rechnung. Das heißt, wir sollten häufiger mal an etwas Positives denken. Wir sind einer der reichsten Industrienationen und wir sind an einem Punkt in der Geschichte, wo es uns noch nie so gut ging. Alles in allem haben wir den höchsten Lebensstandard der Welt. Dankbarkeit ist einer der Grundpfeiler würde ich sagen. Meditation finde ich zudem sehr bereichernd. Das ist sicherlich auch Typ abhängig. Und darauf hören, was die Freunde so sagen und ob die sehen, ich glaube, dir geht es gerade nicht so gut. Ich habe die Erfahrung gemacht, die merken das schneller als man selber. Darum viel Wert auf soziale Kontakte legen.

Melanie: Spannend, dass du das so sagst als Digital Native!

Ben: Ja, wenn ich mein Handy mal zuhause liegen lasse, gerade, wenn ich mit Freunden zusammen bin, dann ist das richtig entspannend.

Melanie: Was wird deiner Meinung nach in der nächsten Generation relevant sein?

Ben: Da wird sich wahrscheinlich niemand mehr dafür interessieren, was du in deiner Arbeit geleistet hast. Ich hoffe, dass meine Kinder sich dafür interessieren werden, was meine Moral- und Wertevorstellungen waren und was ich für Ideen in meinem Leben hatte. Ich fänd’ es selbst wichtig, dass meine Ideen dableiben und was ich für ein Mensch war. Ich bin lieber mit mir im Reinen als Mensch als damit, was ich verdient habe oder ob ich berühmt war. Ich glaube, die nächste Generation wird sich sagen, wir haben jetzt den Karren in den Dreck gefahren und was jetzt. Ich glaube auch, dass wir den Klimawandel vielleicht noch so hinbekommen. Und es wird möglicherweise auch ungemütlich. Vielleicht bekommt die nächste Generation auch den großen Schlag der Rezession ab. Und sie werden sagen, wir müssen jetzt umdenken. Und ich hoffe, dass ich da ein bisschen Vorbild sein kann. Denn wir brauchen alle nicht das neue I-Phone, wir brauchen zu essen und zu trinken. Und wir sollten nicht 48 Stunden arbeiten und uns dann wundern, dass wir einen Burn-out bekommen.

Melanie: Jetzt hast du schon einiges gesagt auf den Menschen bezogen. Was würdest du denn noch den Organisationen sagen wollen?

Ben: Ich glaube, dass es einen human-based Führungsstil geben sollte. Ich habe da Menschen vor mir sitzen, die sind keine Arbeitsmaschinen. Die haben ihre Bedürfnisse, die haben ihre Ziele. Und ich muss als Arbeitgeber schauen, dass ich ihnen Ziele mitgebe, auf die meine Mitarbeiter Lust haben. Und dass sie die Freiheiten haben, mitzugestalten und die Organisationen stehen hinter den Mitarbeitern und sagen, ich helfe dir dabei. Es geht dabei auch um eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung. Ich sehe es auch nicht als Vertrauensvorschuss, sondern das ist eine Voraussetzung. Ansonsten können wir nicht zusammenarbeiten. Und wenn mein Vertrauen als Arbeitgeber oder Führungskraft enttäuscht wird, dann arbeiten wir daran. Denn wir sind alle Menschen und machen mal Fehler. Und das stärkt einen im besten Fall auch.

Melanie: Jetzt möchte ich noch auf einen Punkt kommen, da das sicherlich auch zu euch als Unternehmen passt. Was ist denn für dich gesunde Führung?

Ben: Gesunde Führung ist human-based, da ist ein Mensch, der hat Bedürfnisse. Und da gibt es mehrere Komponenten. Als erstes muss man schauen, ist der Job das Richtige für die Person. Und dann muss ich fragen, wie geht es den Menschen, die aktuell für mich arbeiten. Ich sollte mich auch persönlich interessieren, dann bekomme ich das auch zurück. Das setzt wie bereits gesagt Vertrauen als Basis voraus. Bei allem sollte auch adäquat belohnt werden und das insbesondere auf persönlicher Ebene, mit Anerkennung und dem Gefühl, an etwas Großem zu arbeiten.

Melanie: Was möchtest du jetzt zum Schluss noch als Botschaft mitgeben? Mich interessiert da vor allem die menschliche Komponente und die auf die Gesellschaft bezogen.

Ben: Ich habe das Gefühl, dass die Generation, die mit mir und die nach mir kommt, einen großen Umbruch im Denken hat. Ich hoffe, dass wir es irgendwie hinbekommen, dass wir nicht für wenige Leute arbeiten, die eine unvorstellbare Menge an Geld anhäufen. Sondern ich hoffe, dass die Generation, also meine und die nächste, dafür sorgen, dass wir es irgendwie hinbekommen, sinnvoll zu wirtschaften. So dass wir nicht soviel arbeiten, wir trotzdem alles haben, was wir brauchen und uns darauf besinnen, was uns als Menschen guttut. Ich denke, wenn wir diesen Wandel irgendwie hinbekommen, können wir als Menschen quasi glücklich werden. Dann haben wir unglaublich viel erreicht. Dann lösen sich auch Probleme wie Klimawandel und psychische Erkrankungen lassen sich besser abfangen. Wenn ich nicht auf ein Leistungstier reduziert werde, sondern als Mensch gesehen werde. Das fände ich schön, wenn das zustande kommt und dafür arbeite ich gerne mit.

Melanie: Vielen Dank für diese spannenden Einblicke!

Ben: Sehr gerne!

* MEDISinn bietet mit ihrer Gesundheitsplattform Lösungen für die physische und psychische Gesundheit der Mitarbeiter von Unternehmen und Organisationen. Zudem hat sie ein Netzwerk von Gesundheitsberatern und Coaches, um die menschliche Komponente und Begleitung sicher zu stellen.

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